1. Juni 2023

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Die Haselwurz – attraktiver Bodendecker mit Brechreiz-Wirkung

 Ruth Gestrich-Schmitz

Im Frühling, wenn die Temperaturen steigen, weicht das triste Grau des Winters und farbenfrohe Blüten schmücken endlich wieder die Natur. Wenig Beachtung finden dabei diejenigen Pflanzen, die nur unscheinbare Blüten entwickeln, wie die Haselwurz (Asarum europaeum), ein immergrüner, winterharter Bodendecker aus der Familie der Osterluzeigewächse (Aristolochiaceae). Auffallend sind jedoch ihre dunkelgrünen, auf der Oberseite glänzenden Blätter.

Das Vorkommen der Haselwurz erstreckt sich in Europa von Mittelfrankreich bis zum Ural, von Rumänien bis England, Südschweden und Estland. Man findet sie vorzugsweise auf schattigen, kalkhaltigen Böden, besonders in lichten Laub- und Auwäldern. Der Name Haselwurz könnte daher rühren, dass sie häufig unter Haselnusssträuchern wächst.

Ihrer oberirdisch kriechenden, reich verzweigten Grundachse entspringen zottig behaarte Laubsprosse mit zwei bis drei kleinen bräunlich grünen Niederblättern und zwei lang gestielten rundlichen bis nierenförmigen Laubblättern. Die Haselwurz blüht von März bis Mai. Ihre Blüten sitzen einzeln am Ende der Sprosse. Die dreiteiligen, glockenförmigen Blütenkronen mit zwölf Staubblättern sind innen purpurn, außen bräunlich gefärbt. Aus den Blüten entwickeln sich nach Selbstbestäubung oder mittels Bestäubung durch Insekten (Pilzmücken) sechsfächrige Kapseln mit vielen Samen, die mit einem eiweiß- und fettreichen Anhängsel (Elaiosom) versehen sind, das gerne von Ameisen und Schnecken gefressen wird. Diese tragen dabei zur Verbreitung der Pflanze bei.

Beliebt ist die Haselwurz bei Gärtnern, die sie wegen ihres attraktiven wintergrünen Laubes gerne als Bodendecker in schattigen Gartenlagen anpflanzen. Beachten sollte man jedoch dabei, dass das in allen Pflanzenteilen, besonders im Rhizom (auch Wurzelstock genannt, gehört aber zur Sprossachse) vorkommende ätherische Öl das giftige Asaron enthält. Dieses wurde bereits in der Antike als Brechmittel eingesetzt, weswegen die Haselwurz auch als Brechwurz benannt wird. Gegen Wassersucht, Ischias und als Abführmittel wurde sie ebenfalls angewendet. Dioskorides, Militärarzt unter den römischen Kaisern Claudius und Nero, kannte den kampferartigen Geruch und den pfeffrig-beißenden Geschmack des Wurzelstocks und schrieb ihm wärmende, harntreibende, Brechreiz-erregende und menstruationsfördernde Kraft zu. Karl der Große wollte sie in den Gärten seiner Hofgüter als Heilmittel angepflanzt haben: In der Pflanzenliste seiner Landgüterverordnung ist sie unter dem Namen Vulgigina aufgeführt. Die Frauen der Pomo-Indianer nutzten die nah verwandte Kanadische Haselwurz als Verhütungsmittel. Hildegard von Bingen warnte aber vor der austreibenden Wirkung: „Wenn eine schwangere Frau sie isst, stirbt sie entweder, oder sie hätte mit Gefahr für ihren Körper eine Fehlgeburt.“

Bis zum Anfang des 18. Jhs. galt die Haselwurz als das wichtigste Brechmittel. Man gab Alkoholikern zur Entwöhnung Haselwurz-Extrakt mit ins Getränk, um Übelkeit und Erbrechen auszulösen. Weil aber die Dosierung schwierig ist und die Reizwirkung zu Schäden in Magen, Darm, Galle, Leber und Niere führen kann, nutzte man dann eher die in Brasilien heimische Brechwurzel Ipecacuanha. Heutzutage hat die Haselwurz in der Pharmazie keine Bedeutung mehr.

 

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zuletzt bearbeitet am 2.VII.2023