29. Juni 2023

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Felsrasen am Rhein

 Joachim Schmitz

Im Rheinischen Schiefergebirge haben sich der Rhein und die größeren Nebenflüsse tief eingeschnitten und so große Schieferklippen geschaffen. Hier wächst eine ganz besondere Vegetation, die Gesellschaft des Linzer Feld-Beifußes (Artemisio-Melicetum ciliatae). Die Arten, die hier wachsen, schützen sich vor der Trockenheit durch eine dicke Wachsschicht. Dadurch sehen die Pflanzen blau- oder graugrün aus. Manche sind auch zusätzlich sukkulent, haben also dickfleischige Blätter und Triebe.

Die Standorte sind zu trocken, um Bäume tragen zu können. Es handelt sich hier um einen der wenigen von Natur aus baumfreien Pflanzenstandorte in Mitteleuropa. Deshalb findet man hier sowohl Arten, die als Eiszeitrelikt überdauert haben als auch Pflanzen, die in der nacheiszeitlichen Warmzeit aus dem Mittelmeerraum eingewandert sind und sich heute nur noch an ungewöhnlich warmen Stellen halten können. Die Vegetation ist nicht vom Klimawandel bedroht, sondern breitet sich vielleicht wieder aus.

Charakterart ist der Linzer Feld-Beifuß (Artemisia campestris ssp. lednicensis). Mit Linz ist natürlich Linz am Rhein gemeint. Die Art sieht aus wie eine Miniausgabe des Gewöhnlichen Beifußes und ist dicht behaart. So entsteht eine dünne Luftschicht, die als Schutz vor Verdunstung dient.

Einige attraktive Steingartenpflanzen haben hier ihren wilden Ursprung. Die bekannte Dach-Hauswurz (Sempervivum tectorum) kennen die meisten nur aus dem Garten. Die Vorkommen an Rhein, Mosel und Ahr sind aber wild! Es sind wohl Relikte der eiszeitlichen Vegetation. Durch die Wiederbewaldung haben sie den Kontakt zur heutigen alpinen Population verloren.

Mit seinen dicht weiß bewimperten Ährenrispe ist das Wimpern-Pergras (Melica cilata) sehr auffällig.

Felsen an der Ahr mit Wimpern-Perlgras, Weißer Fetthenne und Bleichem Schwingel.

Der Bleiche Schwingel (Festuca pallens) hat meist stark mit Wachs überzogene, borstenförmige Blätter, so dass die Horste graublau aussehen. Es gibt allerdings zahlreiche andere Schwingelarten, die diese Farbe tragen können; was z.B. in Gärtnereien als „Blau-Schwingel“ verkauft wird, ist eine ganz andere Art, die aus Südfrankreich stammt.

Die weiße Fetthenne (Sedum album) ist nicht ganz so anspruchsvoll aber ökologisch bemerkenswert, weil sie zu den Futterpflanzen des äußerst seltenen Apollo-Falters (Parnassius apollo) gehört. In Nordrhein-Westfalen tritt der Apollo-Falter allerdings nur als Sommergast auf und pflanzt sich hier nicht fort.

Zwei weitere botanische Raritäten kommen in der Gesellschaft des Linzer Feld-Beifußes vor. Das Berg-Steinkraut (Alyssum montanum) wächst u.a. im Ahrtal und auf der gegenüberliegenden Rheinseite. Weil die Art auch eine beliebte Zierpflanze ist, hat sie sich auf unzugängliche Felspartien zurückgezogen Extrem wärmeliebend ist Peletiers Habichtskraut (Hieracium peleterianum), das im Moseltal bei Winningen in den Felsen klebt. Für Laien sieht die Art wie ein großes Mausohr-Habichtskraut aus.

Bei Altenahr, wo das Ahrtal sehr eng wird, ist es für die Beifußflur zu schattig. Dafür wächst hier auf den Felsbändern die Pfingst-Nelke (Dianthus gratianopolitanus). Es handelt sich um ein Eiszeitrelikt aus dem immer eisfrei gebliebenen mittleren Streifen zwischen Polar- und Alpengletschern. Durch die Wiederbewaldung wurde die Population isoliert und hat sich zu einer eigenen Art entwickelt.

 

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zuletzt bearbeitet am 2.VII.2023