17. Aug. 2023

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Nobelpreis für die Erforschung einer Heilpflanze

 Christina Paulson

Bis zur Begradigung des Ober-Rheins im 19. Jahrhundert durch den berühmten Ingenieur Johann Gottfried Tulla fielen in der südwestdeutschen Rheinaue viele Menschen der Malaria zum Opfer. Malaria ist eine Krankheit, die durch den Biss und das Blutsaugen weiblicher Anopheles-Mücken übertragen wird. Nach Angaben der WHO starben im Jahr 2017 knapp eine halbe Million Menschen an dieser Seuche, v.a. in den Süd-Sahara-Staaten.

Die Malaria behandelte man früher traditionell mit Chloroquin oder Chinin, allerdings mit abnehmendem Erfolg. In der chinesischen Volksheilkunde verwendete man demgegenüber bereits seit etwa 340 n. Chr. ) als Fieber- und Malariamittel eine Heilpflanze: den Einjährigen Beifuß (Artemisia annua). Während der chinesischen Kulturrevolution in den 1960er und 70er Jahren begann eine systematische Prüfung alter Schriften über die Heilwirkung von Pflanzen und die chinesische Pharmakologin Youyou Tu wandte sich im Auftrag der chinesischen Regierung der Pflanzenheilkunde zu, um neue Therapieformen gegen die Malaria zu finden. Hierbei fand sie einen Extrakt aus den Blättern des Einjährigen Beifuß, der sich als hoffnungsvoll erwies: Artemisinin. Sie isolierte den Stoff und konnte in den 1970er Jahren nachweisen, dass er tatsächlich gegen Malaria tropica wirkt. Der Wissenschaftlerin gelang es, zu beweisen, dass Artemisinin sowohl bei infizierten Tieren als auch bei Menschen wirksam ist. Artemisinin wird heute weltweit zur Behandlung von Infektionen mit multiresistenten Stämmen von Plasmodium falciparum, dem Erreger der Malaria tropica, eingesetzt. Als sogenannte Artemisinin-basierte Therapie hat das Mittel die Sterblichkeit an der Malaria um mehr als 20 Prozent, bei Kindern sogar um mehr als 30 Prozent gesenkt. Die Wissenschaftlerin Youyou Tu erhielt für die Entdeckung der Wirksamkeit von Artemisin im Jahr 2015 den Nobelpreis für Medizin.

Einjähriger Beifuß, auch Chinesischer Beifuß oder Chinesische Malariapflanze genannt, ist eine einjährige, krautige Pflanze und gehört wie z.B. unser einheimischer, mehrjähriger Gemeiner Beifuß (Artemisia vulgaris) zur Gattung Artemisia in der Familie der Korbblütler (Asteraceae). Artemisia annua stammt aus den gemäßigten Zonen Asiens und ist heute in zahlreichen Ländern, wie auch in Teilen Süd- und Mitteleuropas eingebürgert. In Deutschland kommt der Einjährige Beifuß u.a. in Spülsäumen entlang der Elbe vor. Die zarten, zwei- bis dreifach, fein gefiederten Blätter von Artemisia annua sind etwa 3 bis 5 cm lang, silbrig- bis hellgrün und duften stark aromatisch nach Kampfer und Kamille. Die in einem rispigen Blütenstand angeordneten gelblichen, körbchenförmigen, unscheinbaren, nickenden Teilblütenstände enthalten wenige gelbe Röhrenblüten. Im Laufe des Hochsommers bilden sich sehr kleine, braune, rundliche Samen mit einem Durchmesser von nur 0,6 bis 0,8 mm, die sich durch Selbstaussaat verteilen. Die einjährige Pflanze produziert viele ätherische Öle, Flavonoide und Bitterstoffe, darunter Artemisinin. Bei uns kann man die Art im Garten kultivieren. Mit einer Wuchshöhe von 50 bis 200 cm braucht die unbehaarte, sich stark verzweigende Pflanze allerdings viel Platz, um sich zu entfalten.

Zur Vorbeugung einer Malaria-Infektion mittels Einjährigem Beifuß gibt es verschiedene Methoden der Einnahme: zum einen als Tee der getrockneten Blätter, zum anderen als Tinktur (alkoholischer Auszug). Des weiteren ist ein Medikament zur Behandlung der Plasmodium-falciparum-Malaria auf dem Markt, das neben dem Hauptwirkstoff Artemisinin noch einen weiteren, jedoch synthetischen Antimalariawirkstoff enthält, um einer schnellen Resistenz vorzubeugen. Artemisinin zeigt im Vergleich zu anderen Antimalariamitteln nur selten Nebenwirkungen.

Ende der 1990er Jahre startete an der Uni Tübingen ein Projekt, den Einjährigen Beifuß in großem Umfang in den Malariagebieten Afrikas anzubauen. Da im Zusammenhang mit dem Klimawandel die Malaria in Zukunft nach Mitteleuropa zurückkehren dürfte, könnte dieser Pflanze dann auch bei uns eine größere Bedeutung zukommen.

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zuletzt bearbeitet am 6.IX.2023