31. Aug. 2023

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Nachtkerze – Leuchtende Pflanze vor der Haustür

 Ruth Gestrich-Schmitz

Wenn in der Abenddämmerung viele Pflanzen ihre Blüten schließen, beginnt die Gemeine Nachtkerze ihre leuchtend gelben, betörend duftenden Blüten zu öffnen. Man kann ihnen dabei zusehen: Innerhalb weniger Minuten reißt mit einem hörbaren Knistern der Blütenkelch auf und die Blütenblätter entfalten sich. Angelockt vom intensiven Duft, kommen vor allem Nachtfalter aus der Familie der Schwärmer, verharren schwirrend vor der Blüte, entrollen ihren langen Rüssel und saugen den Nektar aus der mehrere Zentimeter langen Blütenröhre. Tagsüber fliegen Tagfalter wie das Taubenschwänzchen, Bienen mit langen Rüsseln und Hummeln die strahlend gelben Blüten mit den für das menschliche Auge unsichtbaren Strichsaftmalen an. Sie genießen den Nektar und bestäuben gleichzeitig die Blüten, die meist am Abend darauf schon zu welken beginnen.

Die Gemeine Nachtkerze (Oenothera biennis), im Volksmund Abendblume, Nachtstern oder Rapontika genannt, ist ursprünglich in Nordamerika beheimatet und kam Anfang des 17. Jahrhunderts nach Europa, wo sie zunächst als Zierpflanze kultiviert wurde und bis heute als attraktive Gartenpflanze geschätzt wird. Da sie nur geringe Ansprüche an den Boden hat und ihre Samen durch den Wind verbreitet werden, verwilderte sie rasch und es entwickelten sich mit der Zeit etliche Unterarten. Man findet sie auf sandigen Böden, Schuttplätzen, an Wegrändern und auf Bahndämmen, was ihr den Namen „Eisenbahnpflanze“ eingebracht hat.

Im vergangenen Jahr wuchs sie in der Ritze zwischen den Steinen vor meiner Haustür. Es war spannend zu beobachten, wie sich aus der im ersten Jahr erschienenen, dem Boden angedrückten Blattrosette im zweiten Jahr ein fast zwei Meter hoher Stängel mit wechselständig stehenden, länglichen, verkehrt-lanzettlichen Blättern und einem traubigen Blütenstand entwickelte. Jeden Abend öffneten sich neue duftende Blüten mit ihren vier, bis zu drei Zentimeter langen, intensiv gelb gefärbten Kronblättern. Von Juni bis in den Oktober kann man die Blütenpracht und deren Duft genießen. Aus den Blüten entwickeln sich Kapselfrüchte mit bis zu zweihundert Samen.

Aus den Samen gewinnt man ein wertvolles Öl mit einem hohen Gehalt an Gamma-Linolensäure (ca. 10%), das zur Behandlung von Hauterkrankungen wie Neurodermitis und Ekzemen eingesetzt wird. Äußerlich angewendet als Creme oder Öl wirkt es entzündungshemmend und juckreizmindernd.

Die Indianer Nordamerikas nutzten bereits die Gemeine Nachtkerze als Heilpflanze gegen Durchfall, Hauterkrankungen und bei Frauenleiden. Bis auf die Anwendung der gerbstoffhaltigen Blätter als Tee gegen Durchfallerkrankungen hatte die Pflanze bei uns keine Bedeutung in der Volksmedizin.

Die Blätter und vor allem die stärkehaltigen Wurzeln schätzte man früher aber als nahrhaftes Gemüse. Vom Herbst des ersten Jahres bis zum Frühjahr des nächsten Jahres erntet man die Pfahlwurzeln. Sie ähneln geschmacklich etwas den Schwarzwurzeln und sind leicht scharf. Heute entdeckt man die fast vergessene Nachtkerzenwurzel neu, als Gemüse zubereitet, in Suppe verarbeitet oder roh geraspelt mit Essig und Öl. Weil sich beim Garen die Wurzel rötlich färbt, wurde sie im Volksmund Schinkenwurz genannt. Ein altes Sprichwort sagt, dass ein Pfund der Nachtkerzenwurzel so viel Kraft gebe wie ein Zentner Ochsenfleisch. Wahrscheinlich eine maßlose Übertreibung, die aber andeutet, welcher Wert der Wurzel beigemessen wurde.

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zuletzt bearbeitet am 6.IX.2023