7. Sept. 2023

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Vom Schaugarten zum x-beliebigen Bürgerpark

 Anne Repnow

Vielen Pflanzenfreunden ist Weinheim, ein Städtchen im nördlichsten Zipfel Baden-Württembergs, ein Begriff. Nicht wegen der hübschen Altstadt, dem romantischen Rathausplatz oder der schönen Lage an der Bergstraße, sondern weil im Herzen Weinheims der Schau- und Sichtungsgarten Hermannshof zu einem Besuch einlädt. Bald wird sich eine Besichtigung nicht mehr lohnen, denn der Hermannshof verliert seinen Status als Schau- und Sichtungsgarten und damit seine Einzigartigkeit.

Ein Blick zurück: Villa und Park sind Stammsitz der Unternehmerfamilie Freudenberg, die Ende des 19. Jahrhunderts begann, seltene Gehölze zu sammeln. In den letzten Jahrzehnten entwickelte sich der Park unter der Leitung von Professor Urs Walser und seit 1998 unter Professor Cassian Schmidt zu einem Zentrum für die Erforschung verschiedener Pflanzengesellschaften, zum Sichtungsstandort für Staudenprüfungen, zum Testlabor für neue Pflanzeneinführungen und -auslesen und zum Vorbild für moderne Garten- und Landschaftsgestaltung.

Weltweit beziehen sich berühmte Landschaftsarchitekten, Gartendesigner und Pflanzplaner auf den Hermannshof und bezeichnen ihn als Inspirationsquelle. Der Hermannshof war eine der Keimzellen des „New German Style“, eines naturalistischen, auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhenden Stils der Gestaltung mit Pflanzen, der als wegweisend gilt. Das Buch „Cassian Schmidt: Schau- und Sichtungsgarten Hermannshof“ liegt mittlerweile in dritter Auflage vor. Und „Arte“ strahlte einen Film über diesen „Magischen Garten“ aus (bei Youtube zu sehen).

Trägt den Namen des Schau- und Sichtungsgarten Hermannshofs, der geschlossen wird: „Veronica x Hermannshof“.


Ganz anwendungsorientiert wurden im Hermannshof klimataugliche und pflegeleichte Mischpflanzungen entwickelt und getestet. Die Staudenmischungen „Indianersommer“, „Präriemorgen“ und „Präriesommer“ sind so dauerhaft ansprechend, dass sie das öffentliche Grün im Sturm erobert haben. Die Wiege dieser Mischpflanzungen ist die große Hochgras-Präriefläche, die Besucher fast ganzjährig begeistert.

Cassian Schmidt sorgte auf beispielhafte Art und Weise für einen effektiven Wissenstransfer: Stauden und Gehölze wurden mit Namensschildern versehen, monatlich fanden kostenlose öffentliche Führungen zu bestimmten Themen statt (Hunderte kamen!) und zweimal jährlich wurden besondere, in der parkeigenen Gärtnerei herangezogene, Stauden verkauft. Zahlreiche robuste und attraktive Sorten wurden im Hermannshof selektiert und tragen Weinheim oder den Hermannshof im Namen, etwa die prachtvolle hohe Katzenminze „Nepeta x Weinheim“ oder der großartige Ehrenpreis „Veronica x Hermannshof“.

Der Trägerverein, der den Hermannshof finanziert, galt bisher als leuchtendes Beispiel einer weitsichtigen Kooperation von Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft. Etwa 70 Prozent der Kosten übernahm das Unternehmen der Familie Freudenberg, das zu einem Konzern mit mehr als 50.000 Mitarbeitern herangewachsen ist. Der Rest wurde von der Stadt bestritten. Damit ist nun Schluss. Doch die Unternehmensgruppe Freudenberg will sparen und was wäre da einfacher, als „unproduktive“ Ausgaben zu reduzieren? Es bestätigt sich wieder einmal, dass Politiker und Bürokraten selten über Fachkompetenz verfügen und dass bei Konzernen jede kleine finanzielle Einsparung wichtiger ist als gesellschaftliches Engagement. Anstatt ernsthaft andere Finanzierungsmöglichkeiten auszuloten, wurde von den Verantwortlichen – anscheinend schon Ende des vergangenen Jahres – die Satzung des Trägervereins Hermannshof im Schnellverfahren geändert. Der Park verliert die Funktion als Schau- und Sichtungsgarten, die Gärtnerei wird geschlossen, Cassian Schmidt wurde freigestellt und das Gelände wird zum x-beliebigen Bürgerpark.

Im Land der zugepflasterten und -geschotterten Gärten, wo Außenküchen, Lounge-Möbel, Riesengrills und Trampoline wichtiger sind als eine vielfältige Bepflanzung, war der Hermannshof ein Leuchtturm zukunftsorientierter Gartenkultur. Sein Licht erlischt nun.

 

 

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zuletzt bearbeitet am 1.X.2023