14. Sept. 2023

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Ein Apfel mit ungewöhnlicher Geschichte

 Karl Josef Strank

Die Römer hatten für fast Alles eine Göttin oder einen Gott. Pomona ist die Göttin des Obstes. Nach ihr wird die Lehre von den Obstsorten, die Obstbaumkunde, als Pomologie bezeichnet. Bei den Römern stand sie als Bestandteil der Landwirtschaftslehre hoch im Kurs. In Zeiten der Republik machten die vornehmen Römer in der Stadt Politik und auf dem Land in ihren Villen mit ausgedehntem Landbesitz betätigten sie sich als Bauern. Wie Columella in seiner Landwirtschaftslehre darstellt, kannten sie bereits eine Vielzahl von Obstsorten und beherrschten die Technik der Veredlung und Vermehrung durch das Pfropfen von Reisern.

Die Kultur von Wein und Obst verdanken wir den Römern. Nach dem Zusammenbruch des römischen Reiches und den anschließenden Wirren der Völkerwanderung gingen aber viele Kenntnisse über den Anbau verloren, und so war es Karl der Große mit seiner Landgüterverordnung, Capitulare de villis, der für einen Neuanfang sorgte. Überdauert hat das Wissen um die Kultur der Obstbäume in den Klöstern. Schreib- und lesekundige Mönche kannten die alten Schriften, verstanden, kommentierten und vervielfältigten sie. In den Klostergärten wandten sie ihre Erkenntnisse an und gaben sie an die Bevölkerung weiter. Aus der klösterlichen Landwirtschafts- und Gartentradition entwickelten Mönche die Vorschriften der Landgüterverordnung, deren Nachwirkung bis heute in den Bauerngärten ihre Spuren hinterlassen hat. Später übernahmen diese die ländliche Bevölkerung bildenden Aufgaben die Dorfschullehrer bzw. Dorfpfarrer.

Einer dieser obstkundigen Pfarrer war Korbinian Aigner. Er lebte von 1885 bis 1966. Als ältester von zehn Geschwistern wuchs er auf einem großbäuerlichen Hof in Hohenpolding nahe Landshut in Oberbayern auf. Nach dem Wunsch des Vaters sollte er studieren und einen geistlichen Beruf ergreifen. Er wurde 1911 zum Priester geweiht. Das bischöfliche Ordinariat urteilte über ihn mit dem Vermerk: „Mehr Pomologe als Pfarrer.“ Wegen der „zu großen Hingabe an die Obstbaumpflege“, unter der seine „seelsorgerische Tätigkeit in Kirche und Schule“ leide, kritisierte ihn ein anderer Pfarrerskollege. Aus heutiger Sicht gilt Korbinian Aigner in der Fachwelt als einer der versiertesten Pomologen der neueren Zeit. In seinem Heimatdorf gründete er den Hohenpoldinger Obstbauverein und später wurde er der Vorsitzende des Bayrischen Landesverbandes für Obst- und Gartenbau.

Als Pfarrer litt er unter dem Zölibat. Ein weiterer Vermerk besagt: „Pomolog, schielt zu sehr nach dem Weiblichen.“ Als er sich mit einem Dienstmädchen einließ, wurde er strafversetzt. Ein eigenes Pfarramt trat er erst 1931 an. Gegen den Nationalsozialismus bezog er offen Stellung, weigerte sich, Kinder auf den Namen „Adolf“ zu taufen, erkannte die Hakenkreuzfahne nicht als Nationalflagge an. Nach dem Attentat Georg Elsers im Münchener Bürgerbräukeller sagte er, dass ein gelungenes Attentat möglicherweise Tausende Leben hätte retten können. Er wurde denunziert und gelangte 1941 ins KZ Dachau. Interniert im Priesterblock musste er auf der „Plantage“ Zwangsarbeit leisten, wo auf Geheiß Himmlers Kräuter zu Versuchszwecken gepflanzt und Formen biologisch-dynamischer Landwirtschaft erprobt wurden. Aigner züchtete dort heimlich aus Samen die Apfelsorten KZ 1 bis 4. Eine Nonne schmuggelte den Sämling KZ 3 aus dem Lager. Am 29. April 1945 kurz vor der Befreiung des Lagers trieben die Nazis Tausende Häftlinge auf einen Todesmarsch nach Südtirol. Bei Starnberg konnte Aigner fliehen, versteckte sich in einem Kloster und überlebte.

Mit dem Nachlass Korbinian Aigners – er zeichnete im Laufe seines Lebens auf Postkartengröße rund 800 Apfel- und Birnenporträts – gelangte auch die Apfelzüchtung KZ 3 zur Technischen Universität München. Zum 100. Geburtstag Korbinian Aigners im Jahr 1985 benannte die agrarwissenschaftliche Fakultät in Weihenstephan die Sorte offiziell in „Korbiniansapfel“ um. Unter diesem Namen ist der KZ 3 Apfel heute zu beziehen. Er ist fein säuerlich, würzig und aromatisch im Geschmack, lässt sich gut lagern und eignet sich hervorragend für Apfelwein.

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zuletzt bearbeitet am 1.X.2023