17. Okt. 2023

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Wie viel wilde Natur wollen wir uns leisten?

 Karl Josef Strank

Wenn im Kreuzworträtsel der Begriff für die Allmutter gesucht wird, ist damit die Natur gemeint. Doch was ist die Natur? Das Wörterbuch bietet folgende Definitionen an: Alles, was an organischen und anorganischen Erscheinungen ohne Zutun des Menschen existiert oder sich entwickelt („die unbelebte Natur“) und die Gesamtheit der Pflanzen, Tiere, Gewässer und Gesteine als Teil der Erdoberfläche oder eines bestimmten Gebietes, das nicht oder nur wenig von Menschen besiedelt oder umgestaltet ist („die blühende Natur“). Den umfassendsten Begriff von der Natur haben oft indigene Gemeinschaften, die intensiv mit und von der Natur leben. In den zivilisierten Gesellschaften leben wir oft nur von und auf unverantwortliche Weise auf Kosten der Natur. Der Nutzen unterschiedlicher Naturgüter stand und steht noch immer im Vordergrund, genährt von der Vorstellung der unerschöpflichen Fülle der natürlichen Ressourcen. Jährlich wird uns aber immer früher der Tag vor Augen gehalten, ab dem wir weiter nutzen, was die Schöpfung für den Rest des Jahres nicht mehr regeneriert und somit weiter erschöpft. Dieser Erdüberlastungstag war 2023 der 2. August.

Aktuell soll in NRW ein zweiter Nationalpark eingerichtet werden. Die Findung eines geeigneten Standortes gestaltet sich schwierig, denn die Mindestgröße ist mit 10.000 Hektar festgesetzt und nach einer Übergangszeit von maximal 30 Jahren muss der Raum für die natürliche Dynamik (Kernzone ohne menschliche Eingriffe) 75 Prozent der Fläche betragen. Daran entzünden sich heftige Konflikte mit den unterschiedlichen Interessengruppen. Jäger fürchten um die Jagd, Förster um den Holzeinschlag im Wald und Bauern um Einschränkungen (Pestizidverbot) für den Ackerbau. Der Gewinn für die Natur (Artenvielfalt) und den Menschen (Erholung und Freizeit) scheinen dagegen keinen Wert zu haben. Dabei beweist der Nationalpark Eifel seit Jahren das Gegenteil, denn er ist für die Region auch wirtschaftlich ein Erfolg.

Angesichts der diversen Konflikte ist die entscheidende Frage: Wie viel wilde Natur wollen wir uns leisten und halten wir als Gesellschaft aus? Im Hochsauerland gehen wegen der wild umherstreifenden Wisente die Waldbauern wegen der Schälschäden an den Bäumen auf die Barrikaden, verlangen das Ende des 2010 ins Leben gerufenen Artenschutzprojekts und fordern eine Einhegung der Tiere. Der Streit wird heute vor Gericht ausgetragen.

Das aktuell heiß diskutierte und emotional die Gemüter am meisten in Wallung bringende Thema ist die Rückkehr des Wolfs. Um 2000 wanderte er aus Polen kommend, die Neiße überwindend, in die Lausitz ein. Von dort breitete er sich kontinuierlich weiter aus, sodass Deutschland inzwischen in weiten Teilen als Wolfsland bezeichnet werden kann. Etwa 20 Jahre nach der Rückkehr wird die Zahl der Wolfsrudel auf 225 und der Bestand auf 1500 bis 2700 geschätzt.

Die Zeitung mit den reißerischen Schlagzeilen titelte: „Wolfsrudel vor Hamburg!“, oder „Wölfe verfolgen Bundeswehrsoldat auf Truppenübungsplatz!“ Mit keinem Tier lassen sich so gut Ängste schüren wie mit dem Wolf. In unserem Unterbewusstsein ist er tief verankert als der „böse“ Wolf. Ein Widerspruch, denn wie haben es Generationen unserer Vorfahren von Jägern und Sammlern sonst geschafft, ihn als unseren „besten“ Freund, den Haushund, domestizieren zu können. So stellten sich die „Verfolger“ des Bundeswehrsoldaten nach eingehender Recherche als neugierige, sich normal verhaltende, spielerische Jungwölfe heraus.

Wölfe jagen vor allem Wildtiere wie Rehe, Rothirsche und Wildschweine. Deren Bestand regulieren sie effektiv, was wiederum Jäger auf den Plan ruft, die selber jagen wollen. Sie reißen aber auch landwirtschaftliche Nutztiere wie Schafe, Ziegen, Rinder und Pferde. Herdenschutzmaßnahmen wie wolfssichere Einzäunung oder die Haltung von Herdenschutzhunden sind zeit-, arbeits- und kostenintensiv. Somit bleibt die alles entscheidende Frage: Wie viel wilde Natur wollen wir uns leisten?

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zuletzt bearbeitet am 14.XI.2023