26. Okt. 2023

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


War das Hofbräuhaus in München die Wiege der modernen Brauhefe?

 Joachim Schmitz

Eingefleischte Aachener kennen noch die Degraa-Brauerei und ihren Werbespruch: „Opa wurde hundertjährig, stets trank er Degraa obergärig“. Witzbolde haben dann prompt auf dem Bierdeckel hinzugefügt: „Oma wurde 110, Degraa hat sie nie geseh'n“. Nicht nur die Degraa-Brauerei ist inzwischen eingegangen. Obergärige Biere sind überhaupt ins Hintertreffen geraten.

Obergärig heißt, dass die Hefe im Brausud oben schwimmt. Dabei handelt es sich um Saccharomyces cerevisiae, also die gleiche Hefe, die man auch zum Backen verwendet. Sie arbeitet auch noch bei höheren Temperaturen, die sie durch die heftige Gärung z.T. selbst erzeugt. Das ist natürlich zum Backen vorteilhaft, aber nicht zum Brauen. Denn dabei können unerwünschte Nebenprodukte entstehen. Deswegen hat man nicht im Sommer sondern nur im Winter gebraut und einen Vorrat bis zur nächsten Brausaison in Kellern gelagert, was übrigens auch der Ursprung der Biergärten ist. Noch heute werden Stämme von S. cerevisiae für traditionelle Biere wie Alt, Kölsch, Weizen oder Ale verwendet.

Untergärige Hefen, die sich im Brausud unten absetzen, arbeiten nur bei niedrigen Temperaturen bis maximal 9°C. Deshalb ist die Gärung leichter kontrollierbar. Heute werden über 90% der Weltbierproduktion untergärig hergestellt. Dazu gehören die meisten hellen Sorten wie Lager, Pils usw. Früher wurden die untergärigen Stämme nur als Varianten von S. cerevisiae aufgefasst. Aber schon 1870 beschrieb Max Rees dies als eigene Art, die er zu Ehren von Louis Pasteur S. pastorianus genannt hat.

Wie man seit 1985 weiß, besitzt S. pastorianus nicht nur zwei sondern vier Chromosomensätze. Davor wurde schon länger vermutet, dass diese Hefe aus der Hybridisierung von S. cerevisiae mit einer unbekannten Wildhefe entstanden ist. Bei Kulturpflanzen ist das nichts Ungewöhnliches. Z.B. ist Raps aus der Kreuzung von Kohl mit Rübsen hervorgegangen oder die Kulturpflaume aus der Kreuzung der Kirschpflaume mit der Schlehe bzw. einer kaukasischen nahen Verwandten unserer Schlehe.

2018 konnte die unbekannte Hefe als S. eubayanus identifiziert werden. Möglich wurde das durch immer bessere genetische Analysemethoden. Die Art ist gerademal sieben Jahre zuvor in Argentinien entdeckt worden. Danach konnte sie auch in Nordamerika und Innerasien gefunden werden. Im Jahre 2022 wies sie ein Team der Universität Dublin in irischen Bodenproben und damit auch für Europa nach.

Unklar war bisher, wo und wann es zum genetischen Kontakt der beiden Hefen gekommen ist. Quellen aus Süddeutschland aus dem 14. und 15. Jhdt. erwähnen bereits untergärige Biere. Wahrscheinlich ist dort mit einem Gemisch gebraut worden, dass S. eubayanus enthielt. Man hat jedenfalls inzwischen herausgefunden, dass man alleine mit S. eubayanus ein untergäriges Bier brauen kann. Zwei Wissenschaftlern vom Forschungszentrum Weihenstephan der TU München ist es nun gelungen, zumindest eine „Hochzeit“ der beiden Hefen zu rekonstruieren. Von 1602 bis 1617 wurde im Hofbräuhaus München sowohl ein ober- wie ein untergäriges Bier nebeneinander gebraut. Dabei ist es zu dem Kontakt gekommen, der aus S. cerevisiae und S. eubayanus die moderne Lagerbierhefe entstehen ließ.

Genauer konnte als Elternsorte von S. cerevisiae ein Stamm identifiziert werden, der aus dem niederbayerischen Schwarzach stammt, mit dem nachweislich von 1548-1602 gebraut wurde. Die Sorte bzw. der Ursprung von S. eubayanus ist unbekannt.

Um die Jahrhundertwende 1900 isolierte der Däne Hansen erstmals reine Hefestämme, die er dann weiterzüchtete. Dabei kultivierte er eine untergärige Hefe, die er als neue Art S. carlsbergensis beschrieb und die heute weltweit in Gebrauch ist. Genetische Analysen haben ergeben, dass diese Hefe zwei Chromosomensätze von S. eubayanus, aber nur einen von S. cerevisiae enthält. Vielleicht ist das der Grund, warum sie besonders gut Kälte verträgt, eine ertragreiche Gärung bewirkt und sich wirtschaftlich durchgesetzt hat.

S. pastorianus hat von beiden Elternteilen je zwei Erbgutsätze. Damit wird heute noch z.B. Heineken, Oranjeboom und Weihenstephan gebraut. Wenn S. carlsbergensis von S. pastorianus abstammt, müsste also mit einer sogenannten Genommutation ein Chromosomensatz von S. cerevisiae verlorengegangen sein. Das kann man aber auch so interpretieren, dass es nicht nur im Hofbräuhaus sondern noch irgendwo anders zum Kontakt der Elternarten gekommen ist, aus dem dann direkt S. carlsbergensis hervorgegangen ist. Die Frage ist bis heute nicht geklärt und bedarf weiterer Forschung.

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zuletzt bearbeitet am 14.XI.2023