18. Jan. 2024
NATURBEOBACHTER AUS DER REGION
Der Purgier-Kreuzdorn in Vogelwelt und Volksheilkunde
Karl Josef Strank
Wenn bei Bauvorhaben Eingriffe in die Natur ausgeglichen werden müssen, werden oft Hecken neu gepflanzt. Hierfür haben die Naturschutzverbände Listen mit einheimischen Sträuchern zusammengestellt, die verwendet werden sollen. Darin taucht auch der Purgier-Kreuzdorn (Rhamnus cathartica) auf, der vielen im Gegensatz zu Hainbuche, Hartriegel, Holunder, Haselnuss, Schlehe, Weißdorn nicht geläufig ist.
Der zwei bis drei Meter hohe, aufrechte, sparrig verzweigte Strauch ist sommergrün mit rot- bis schwarzbrauner, horizontal abrollender Ringelborke. Das Sprosssystem ist kreuzgegenständig verzweigt, die Triebe enden häufig in Dornen. Daher rührt auch der Name Kreuzdorn. Die Laubblätter stehen gegenüber. Der Stiel ist ein bis drei Zentimeter lang, die Spreite drei bis sieben Zentimeter und in der Breite 1,5 bis vier Zentimeter. Die Blattform ist eiförmig, kurz zugespitzt und an der Basis gerundet. Der Rand ist fein gesägt, oberseits tiefgrün, unterseits heller und vor allem auf den Adern behaart. An den jungen Trieben stehen die Blüten zu zwei bis acht in den Blattachseln und bilden Scheindolden. Die gelbgrünen Blüten sind vierzählig und eingeschlechtlich. Die länglich dreieckigen Kelchblätter (zwei bis drei Millimeter lang) stehen auf einem Blütenbecher, dann folgen die schmallanzettlichen Kronblätter (fünf bis sechs Millimeter lang). Die männlichen Blüten haben vier Staubblätter, einen unvollständigen Fruchtknoten, die weiblichen einen voll ausgebildeten drei- bis vierfächrigen Fruchtknoten und kurze, sterile Staubblätter. Die Frucht ist eine kugelige, schwarzviolette sechs bis acht Millimeter große saftige Steinfrucht mit zwei bis vier Steinkernen. Der Kreuzdorn blüht im Mai/Juni und fruchtet im September/Oktober.
Der Kreuzdorn wächst in Auenwäldern, feuchten Laubmischwäldern, an Waldsäumen und in Gebüschen sommerwarmer und sommertrockener Standorte. Er bevorzugt basenreiche, häufig kalkhaltige, humose locker steinige Lehmböden oder flachgründige Steinböden. Dort ist er oft anzutreffen mit Schlehe, rotem Hartriegel, Liguster, Berberitze und Hasel. Der Kreuzdorn ist in Mitteleuropa vom Norddeutschen Tiefland bis in die Alpen, wo er bis 1600 m ü.NN aufsteigt, verbreitet. Die unauffälligen Blüten werden von kurzrüsseligen Insekten, die den offen dargebotenen Nektar annehmen, bestäubt. Vögel verzehren die dunklen Früchte.
Diese enthalten Anthrachinonglycoside, die giftig sind. Daneben auch Gerbstoffe, Flavonoide, Zucker und Vitamin C. Die Steinfrüchte sind aufgrund der Inhaltsstoffe als Droge „Fructus Rhamni catharticae“ offizinell bekannt. Beim Menschen lösen sie Durchfall und Erbrechen aus. Der Artname cathartica kommt vom griechischen „katarhein“, was reinigen bedeutet. Den Darm zu reinigen, zu purgieren, war ein probates Mittel der mittelalterlichen Medizin, die kranken Säfte abzuführen, um dann die Arznei zu verabreichen. Die Wirkung ist mitunter heftig, daher ist die Droge heute nur noch homöopatisch bei Verdauungsschwäche in Gebrauch.
Das Holz des Kreuzdorns ist hart, fest, schwer und nicht gut spaltbar. Das Kernholz ist rötlichgelb bis rot, der gelblichgraue Splint schmal. Es ist dauerhaft und gut zu bearbeiten. Es fand Verwendung in der Tischlerei und Möbelschreinerei. Das fein und schön gemaserte Holz des Wurzelstocks war in der Drechslerei sehr geschätzt. Die Früchte auch anderer Kreuzdornarten, sogenannte Gelbbeeren, lieferten aufgrund des Gehaltes an wasserunlöslichem Rhamnetin in Verbindung mit Metallsalzen lichtechte und beständige Farben. Wolle, Baumwolle, Leder und Papier wurden damit gelb, orange, rotbraun oder olivgrün gefärbt.
Die Gattung Rhamnus ist weltweit verbreitet und umfasst 110 Arten. Der Erwähnung wert sind drei weitere Arten, Rh. pumila, Rh. alpina und Rh. saxatilis, allesamt zwergig kleine, kriechende Gehölze, die in der alpinen und subalpinen Höhenstufe der europäischen Gebirge an steilen, kahlen Felsen und sonnigen und feinerdearmen Felsspalten vorkommen. Der Zwerg-Kreuzdorn dringt mit seinen Wurzeln tief in Gesteinsklüfte ein und ist das Musterbeispiel eines Pioniergehölzes auf extremen Standorten. Er ist äußerst frosthart und wächst sehr langsam. Bei einem 22 Millimeter dicken Stamm konnten 75 Jahresringe gezählt werden!
zuletzt bearbeitet am 12.II.2024