16. Mai 2024

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Olivenernte im eigenen Garten?

 Roland Schulze-Röbbecke

Immer häufiger sieht man in deutschen Gärten Olivenbäumchen, meist in Kübeln, damit man sie im Winter frostgeschützt unterbringen kann. Wir lieben sie, weil sie ein mediterranes Flair in unsere Gärten bringen. Im Vergleich zu den mächtigen, oft mehrere Hundert Jahre alten, im Mittelmeerraum beheimateten Olivenbäumen handelt es sich bei unseren Kübelpflanzen meist nur um traurige Kümmerexemplare. Doch auch bei uns entwickeln die Olivenbäume im Mai/Juni ihre unscheinbaren Blüten und wenn das Wetter günstig ist, kann man zwischen Oktober und Dezember sogar eine kleine Olivenernte einfahren. Geerntet werden die Oliven im unreif-grünen, im violett-braunen oder im reifen, schwarzen Stadium. Alle entfalten ihre eigene Geschmacksnote.

Am Geschmack der Oliven scheiden sich die Geister. Die einen mögen sie überhaupt nicht, andere zählen sie dagegen zu den größten Delikatessen. Frisch vom Baum gepflückt sind sie auf jeden Fall zunächst ungenießbar. Sie enthalten einen Bitterstoff namens Oleuropein, der vor dem Verzehr entfernt werden muss, auf natürlichstem Weg durch Wässern und Fermentation.

Zum Wässern legt man die Oliven in Leitungswasser ein, nachdem man ihre äußere Haut durch Quetschen oder Einritzen verletzt hat. Wenn man das Wasser täglich über etwa zehn Tage austauscht, ist bereits ein großer Teil des Oleuropeins ausgeschwemmt und beginnen die Oliven genießbar zu werden. Kenner kritisieren allerdings, dass beim Wässern auch wohlschmeckende Aromastoffe verloren gehen. Sie wässern die Oliven daher nur ein- bis dreimal oder überhaupt nicht.

Uralte Olivenbäume am Fuß des Berges Athos

Mit und ohne Wässern: Der wichtigste Prozess der Olivenverarbeitung ist die Fermentation. Diese findet entgegen anderslautenden Informationen nicht im Olivenöl, sondern in einer leicht angesäuerten Salzlake statt (80 g Kochsalz mit dem Saft von ein oder zwei Zitronen und Leitungswasser auf einen Liter aufgefüllt). In einem geschlossenen Behälter legt man die Oliven darin 4 bis 12 Monate ein, je nachdem wie viel sie zuvor gewässert wurden. Währenddessen wird das Oleuropein durch Mikroorganismen entfernt, besonders durch Milchsäurebakterien und Hefepilze, die natürlicherweise auf den Oliven vorkommen und sich in den eingelegten Oliven vermehren. Sie verfügen über Werkzeuge (Enzyme), mit denen sie das Oleuropein abbauen und den bitteren Geschmack beseitigen. Außerdem produzieren sie – ähnlich wie bei der Sauerkraut-Fermentation – organische Säuren wie Milchsäure und Essigsäure, wodurch die Salzlake und die Oliven einen zunehmend säuerlichen Geschmack bekommen. Die fertig fermentierten Oliven haben eine etwas weichere Konsistenz und sind in der ausreichend angesäuerten Salzlake (pH-Wert nicht über 4) „mikrobiologisch stabil“. Das heißt, sie unterliegen keinem Verderb durch andere Mikroorganismen und können darin einige Jahre lang aufbewahrt werden.

Wer einmal das Aroma von natürlich und langsam fermentierten Oliven kennengelernt hat, will nie mehr Billigoliven aus dem Supermarkt essen. Bei den hierzulande vermarkteten Oliven werden die Bitterstoffe teilweise mit Natronlauge neutralisiert, um den Fermentationsprozess abzukürzen. Zum Teil werden die Oliven durch Zusatz von Eisengluconat künstlich geschwärzt. Um sie haltbar zu machen, werden sie teilweise hitzesterilisiert oder mit Konservierungsmitteln versetzt. All diese Prozesse haben keinen günstigen Einfluss auf den natürlichen Geschmack. Das Ergebnis ist oft nur ein schaler Abklatsch der Speiseoliven, wie sie von der Bevölkerung in Mittelmeerraum selbst zubereitet werden.

Und wer einmal zur Erntezeit (September bis Dezember) in ein Olivenanbaugebiet reist, sollte bei einem Olivenbauern ein paar Kilo frisch geerntete Oliven kaufen und sie möglichst frisch zuhause selbst verarbeiten. Trotz Klimawandels entwickeln die unter der deutschen Sonne gereiften Oliven aus dem eigenen Garten nicht das gleiche Aroma wie in Südeuropa.

 

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zuletzt bearbeitet am 12.VI.2024