26. Sept 2024
NATURBEOBACHTER AUS DER REGION
Wildes Gemüse vom Rhein
Joachim Schmitz
Große Flüsse machen ihr eigenes Klima, das auch eine spezifische Vegetation mit sich bringt. Deren Arten nennt man Stromtalpflanzen. Darüber hinaus bewirken wasserbauliche Maßnahmen wie Steinpackungen als Uferbefestigung oder die Buhnen, quer in den Fluss hineinragende Steinwälle, eine Veränderung des Wasserregimes. Das hat natürlich Auswirkungen auf die Vegetation. Das kann man gut am Rhein studieren. Kurioserweise sind hier auch eine ganze Reihe von Gemüsearten betroffen, was Laien immer wieder in Erstaunen versetzt.
So findet man in den Ritzen der Uferbefestigung regelmäßig Schnittlauch (Allium schoenoprasum). Der wilde Schnittlauch wächst in Feuchtwiesen der Alpen und kommt auch im Quellgebiet des Rheins im schweizerischen Graubünden vor. Es könnte also sein, dass die Pflanzen wirklich von den Alpen bis hierhin gewandert sind. In der Verbreitungskarte bei flora.web des Bundesamts für Naturschutz sind die Vorkommen unmittelbar am Rhein jedenfalls als natürliche Vorkommen eingetragen. Alles jenseits des Rheins gilt als synanthrop, d.h. aus menschlicher Kultur verwildert.
Früher ist der Rhein durch Anschwemmungen aus den Alpen und Seitenzuflüssen stetig verflacht, so dass Baggerschiffe die Fahrrinne freischaufeln mussten. Deshalb wurden Buhnen in den Fluss gebaut, die den Querschnitt des fließenden Wassers radikal verengen und so die Fließgeschwindigkeit erhöhen. In der starken Strömung in Flussmitte kann sich nichts mehr absetzen. Deswegen ist auch das Schwimmen im Rhein so gefährlich. Ein weiterer Effekt ist, dass der Rhein einen so starken Sog ausübt, dass sogar Wasser aus dem umgebenden Grundwasser abgezogen wird. So wachsen dann in den Rheinwiesen hinter den Steinpackungen Arten der Trockenrasen, z.B. der Feld-Mannstreu (Eryngium campestre).
Hier findet man gelegentlich verwilderten Spargel (Asparagus officinalis). Es liegt nahe, dass die von Pflanzen aus den Anbaugebieten am Oberrhein und Rheinhessen stammen und von dort flussabwärts vertrieben wurden.
Tomate am Rhein bei Dormagen-Stürzelberg.
Ein natürlicher Fluss verläuft in Kurven. Die Außenseite nennt man Prallhang. Hier nagt der Fluss immer weiter am Ufer und schiebt sich so vor. Auf dem Gleithang innen ist die Strömung viel langsamer. Hier setzt sich Sediment ab und schafft neues Ufer. Durch die Uferbefestigung am Rhein ist eine Verlagerung des Flusslaufs nicht mehr möglich. Prall- und Gleithänge gibt es aber sehr wohl noch. Die Gleithänge in den Innenkurven sind bei mittlerem Hochwasser überschwemmt. Im Sommer fallen sie trocken und dann entwickelt sich hier eine sehr spezielle Vegetation. Sie besteht überwiegend aus Einjährigen, die mit Samen überdauern, erst im Sommer keimen und sehr spät im Herbst blühen und fruchten.
In Zeiten des Klimawandels sinkt der Rheinpegel immer häufiger und immer früher im Jahr. So findet man auf den trocken gefallenen Gleithängen zunehmend wärmeliebende Kulturpflanzen. Schon seit langem bekannt sind Vorkommen der Tomate (Solanum lycopersicum). Früher haben Botaniker das als unbeständige Verwilderungen angesehen, die vielleicht aus Gartenabfällen stammen. Heute ist die Tomate am ganzen Rhein verbreitet, und wie man am Foto sehen kann, kommt sie auch zur Fruchtreife. Man kann also davon ausgehen, dass die Tomate heute am Rhein fest eingebürgert ist.
Nach einem besonders warmen Sommer findet man mit der Andenbeere (Physalis peruviana) ein weiteres Nachtschattengewächs. Häufiger sind auch Kürbisgewächse anzutreffen: Gurke (Cucumis sativa) habe ich schon zweimal gefunden, bei Erpel und Dormagen. Bei Erpel habe ich auch schon schon Zucchini (Cucurbita pepo cv.) und sowas Exotisches wie Koloquinte (Citrullus colocynthis) blühen gesehen. In allen Fällen sind die Arten aber bisher nicht zur Fruchtreife gelangt. Im Gegensatz zur Tomate gelten diese Vorkommen deswegen nur als unbeständige Verwilderungen. Aber wenn das mit der Klimaerwärmung so weiter geht...?
zuletzt bearbeitet am 24.X.2024