17. Okt. 2024
NATURBEOBACHTER AUS DER REGION
Die Blutwurz Arzneipflanze des Jahres 2024
Christina Paulson
Ja liebe Leserinnen und Leser, Sie haben richtig gelesen: es geht hier nicht um die Blutwurst, sondern um die „Blutwurz“. Das ist eine zierliche, gelbblühende Pflanze der mageren, bodensauren Wiesen, Wälder, Heiden und Niedermoore, die wahrscheinlich die Wenigsten von Ihnen kennen. Potentilla erecta, wie diese traditionelle Heilpflanze botanisch heißt, ist die "Arzneipflanze des Jahres 2024". Wissenschaftler*innen des "Studienkreises Entwicklungsgeschichte der Arzneipflanzenkunde" kürten sie hierzu, um an die jahrhundertelange pharmazeutische und medizinische Nutzung dieser wenig bekannten Pflanze zu erinnern.
Blutwurz, auch „Tormentill“ genannt, ist ein ausdauerndes, kleines Kraut und in ganz Europa verbreitet. Es zählt zu den Rosengewächsen (Rosaceae) und wächst meist niederliegend bis zu 30 Zentimeter lang bzw. hoch. In der Blütezeit von Mai bis Oktober entspringen auf langen Stielen die zarten, gelben Blüten von knapp einem Zentimeter Durchmesser mit vier Kronblättern einzeln in den Blattachseln. Dies unterscheidet die Blutwurz von den meisten anderen Arten der Gattung Potentilla, die überwiegend fünf Kronblätter aufweisen. Die gezähnten Laubblätter der Blutwurz sind dreizählig, sie besitzen an den Stängeln jedoch zwei Nebenblätter, was eine fünfzählige Erscheinung vermittelt.
Der eigenartige Name "Blutwurz" beruht darauf, dass die Wirkstoffe der Heilpflanze in ihrem Wurzelstock stecken und sich dieser an Bruch- und Schnittstellen durch Oxidation der enthaltenen Gerbstoffe blutrot verfärbt. Das sieht dann aus wie eine blutende Wunde. Nach der sog. Signaturenlehre sprach man der Pflanze früher deshalb u.a. eine blutstillende Wirkung zu. Aus dem relativ kurzen, ca. 1 3 cm dicken Wurzelstock (botanisch: Rhizom) wachsen die eigentlichen Wurzeln bis zu 50 Zentimeter in den Boden.
Die medizinische Verwendung der Fingerkräuter (Potentilla) reicht in Europa bis ins Mittelalter zurück. Bereits Hildegard von Bingen nannte Mitte des 12. Jahrhunderts in ihrer „Physica“ die Blutwurz ('dornella') und empfahl sie wegen ihrer stopfenden Wirkung gegen Krankheiten, die von verdorbenen Krankheiten herrühren u.a. gegen Durchfall: ein Anwendungsgebiet, das sich bis heute gehalten hat.
Der deutsche Arzt und Arzneimittelhersteller Dr. G. Madaus (1890 -1942) nannte die Blutwurz 1938 in seinem Lehrbuch als hilfreich bei Darmblutungen, Brechdurchfall, Magenschwäche und Appetitlosigkeit, sowie äußerlich angewandt bei Entzündungen im Bereich der Mund- und Rachenhöhle, bei Wunden, nässenden Ekzemen, Quetschungen und Blutergüssen.
In der heutigen, naturwissenschaftlich fundierten Pflanzenheilkunde (Phytotherapie) sind Zubereitungen aus dem Blutwurz-Rhizom innerlich bei leichten, unspezifischen Durchfallerkrankungen, bei akuter und chronischer Darmentzündung sowie äußerlich als „traditionelles pflanzliches Arzneimittel“ bei leichten Entzündungen im Mund- und Rachenraum anerkannt. Diese Indikationen beruhen v.a. auf dem hohen Gerbstoffgehalt des Rhizoms mit zusammenziehender und entzündungshemmender Wirkung. Bei gereizter, entzündeter und nässender Schleimhaut bzw. Haut bildet sich mit den Gerbstoffen eine Schutzschicht. Die bitteren, zusammenziehenden Gerbstoffe sind bei entsprechenden Mundwässern deutlich zu schmecken und zu spüren.
Die Blutwurz enthält als wirksamkeitsbestimmende Inhaltsstoffe neben 15 bis 22 Prozent Gerbstoffen außerdem v.a. Flavonoide, Phenolcarbon- und Triterpensäuren. Gerbstoffe stehen derzeit wegen ihrer antimikrobiellen und antiviralen Eigenschaften im Fokus der Grundlagen-Forschung. Keine heimische Pflanze hat höhere Gerbstoffgehalte als das Rhizom von Potentilla erecta.
Wer sich selbst bei bestimmten Problemen helfen will, kann z.B. in der Apotheke getrocknete Blutwurz-Rhizome kaufen und einen alkoholischen Auszug (Tinktur) herstellen, damit gurgeln oder ihn z.B. für Heilbäder bei Hämorrhoiden verwenden. Bei Verdauungsproblemen kann man sich einen Tee aus geriebenem Rhizom aufbrühen. Eine Alternative ist ein bayerischer Blutwurz-Schnaps oder -Likör als Digestif. Dabei handelt es sich um ein von der EU geschütztes Rezept.
zuletzt bearbeitet am 14.XI.2024