24. Okt. 2024
NATURBEOBACHTER AUS DER REGION
Der Schopf-Tintling ein fleischfressender Pilz
Ruth Gestrich-Schmitz
Im vergangenen Sommer fielen mir auf einem Rindenmulch-Haufen Pilze mit in der Sonne glänzenden, silbrig-grauen Hüten auf, deren Oberfläche mich an einen Faltenrock erinnerte. Beim Versuch, den Pilz zu bestimmen, bin ich auf die Tintlinge gestoßen. Der ungewöhnliche Name rührt von der Eigenschaft her, dass die Lamellen, oft zusammen mit den Hüten, bei der Reifung innerhalb weniger Stunden aufgrund von Selbstverdauung (Autolyse) zerfließen und eine Pilzsporen-haltige, schwarze, tintenähnliche Flüssigkeit zu Boden tropft. Daraus stellte man früher dokumentenechte Tinte her, häufig mit Nelkenöl als Konservierungsstoff. Verschiedene Insekten werden von der tintenähnlichen Masse angelockt, fressen davon, und tragen gleichzeitig zur Verbreitung der Sporen bei.
Die Deutsche Gesellschaft für Mykologie hat einen dieser Tintlinge, den Schopf-Tintling (Coprinus comatus), zum „Pilz des Jahres 2024“ ernannt. Er ist ein häufig zu findender Speisepilz, dessen Fruchtkörper im jungen Stadium an seinem weißen, ei- bis walzenförmigen, drei bis sechs Zentimeter breiten und sechs bis zwölf Zentimeter hohen Hut, der mit seinen abstehenden Schuppen wie ein haariger Schopf aussieht, gut zu erkennen ist. Im englischsprachigen Raum hat der Schopf-Tintling den lustigen Namen „Shaggy Mane“, wörtlich übersetzt „Struppige Mähne“. Doch nur, wenn er jung und noch komplett weiß ist, sollte man ihn sammeln und rasch verarbeiten. Dann riecht und schmeckt er wohl ähnlich wie Spargel, was ihm auch den Namen Spargelpilz eingebracht hat. Verfärben sich Hut und Lamellen des Schopf-Tintlings rosa, sollte er nicht mehr gesammelt werden, denn dann ist er nicht mehr genießbar. Beim weiteren Reifungsprozess zerläuft er innerhalb von ein paar Tagen zu einer schwarzen, tintenähnlichen Masse. Verwechselt werden kann der Schopf-Tintling mit dem in Kombination mit Alkoholgenuss giftigen Falten-Tintling oder dem ungenießbaren Specht-Tintling. In der fernöstlichen Heilkunde wird der Schopf-Tintling auch als Heilmittel geschätzt, als Regulator für den Blutzuckerspiegel und zur Stabilisierung des Immunsystems. Wissenschaftliche Studien weisen zudem auf eine mögliche tumorhemmende Wirkung hin.
Der Schopf-Tintling besiedelt gerne nährstoffreiche Wiesen, Parkanlagen und Wegränder. Sogar an geschotterten oder geteerten Wegen ist er zu finden. Nach Regenperioden, die in diesem Jahr ja reichlich vorkamen, tauchen seine Hüte von Mai bis November manchmal an den kuriosesten Stellen wie in Rissen im Asphalt oder in Betonspalten auf.
Der Schopf-Tintling gehört zu den Pilzen, die auf totem Pflanzenmaterial wachsen, dieses zersetzen, um Nährstoffe aufzunehmen und gleichzeitig zur Humusbildung beizutragen. Neben dieser vegetarischen Ernährungsweise ist der Schopf-Tintling auch ein Fleischfresser, er „geht“ unterirdisch auf Beutefang. Dazu bildet der Pilz kleine Schlaufen aus seinem Myzel (Geflecht aus den fadenförmigen Pilzzellen), mit denen er winzige, im Boden lebende Fadenwürmer fängt. Die Opfer werden mit einem Gift gelähmt, vom Schopf-Tintling mit seinem Pilzgefecht durchwachsen und allmählich verdaut.
zuletzt bearbeitet am 14.XI.2024