26. Okt. 2024
NATURBEOBACHTER AUS DER REGION
Entfichtung
Joachim Schmitz
Der etwas technokratisch klingende Begriff tauchte schon 2002 in einer Veröffentlichung der Forst- und Versuchsanstalt Baden-Württemberg auf. Man hatte damals festgestellt, dass die Biodiversität und der ökologische Wert von Bachläufen in Fichtenforsten erheblich gesteigert werden kann, wenn beiderseits auf mindestens 10m Abstand die Fichten entfernt werden und wieder Platz bleibt für die natürliche bachbegleitende Vegetation. Der Hauptgrund liegt wohl darin, dass Fichten, zumindest solange sie noch gesund sind, kaum noch Licht auf den Boden lassen und so jeden Unterwuchs unterdrücken.
Entfichtung in einem Seitental des Perlbachs im Juni 2022.
Seit ein paar Jahren wird das auch in der Eifel praktiziert. Es geht da vor allem um Seitentäler der oberen Rur. Der legendäre Aachener Botaniker Matthias Schwickerath hat das 1966 Schluchtwaldland genannt. Mit Schluchtwald sind Wälder auf grobem Gestein in luftfeuchten, schattigen Lagen gemeint. Charakteristische Bäume sind Linden und Berg-Ulme (Ulmus glabra). Typisch für die Krautschicht sind Mondviole (Lunaria rediviva), Hirschzunge (Aspleniumn scolopendrium) und Gelappter Schildfarn (Polystichum aculeatum).
Einige Vorkommen dürften bis 1938 in der Rurtalsperre abgesoffen sein. Aber auch schon vorher waren viele potenzielle Standorte nicht von Schluchtwäldern sondern von Fichtenforsten besetzt.
Mit dem Wiener Kongress wurde die Eifel 1815 Preußen zugesprochen. Die preußischen Forstleute fanden eine über weite Flächen baumfreie Heide vor. Dies war durch jahrhundertelange Ausbeutung der Eifelwälder entstanden. Die Böden waren so ausgelaugt, dass eine Anpflanzung anspruchsvoller heimischer Laubbäume wie Buchen oder Eichen gar nicht mehr möglich schien. Nach einigen Kulturversuchen hat man sich dann entschieden, mit der Fichte (Picea abies) aufzuforsten. Das war sehr erfolgreich, so dass bei den preußischen Forstbeamten der Spruch „Die Fichte wächst überall“ zum geflügelten Wort geworden ist.
Dann hat man gemerkt, dass die Fichte nicht nur überall wächst, sondern das auch noch viel schneller macht als alle Laubbäume. Ursprünglich aus der Not geboren, ist die Fichte so zum Brotbaum der Holzwirtschaft geworden. Und dann wurde eben überall Fichte gepflanzt, wo das nur irgendwie möglich erschien.
Dem sind nicht nur Schluchtwälder zum Opfer gefallen. Am Oberlauf der Rur und ihren Zuflüssen sind auch Standorte des Blauen Eisenhuts (Aconitum napellus) und weiter hangwärts Narzissenwiesen aufgeforstet worden. Damals galt auch noch für Staatsforste das absolute Primat des Wirtschaftsertrags. Die Erholungsfunktion des Waldes war nachrangig und Ökologie ein absolutes Fremdwort.
In den 1980er-Jahren leierte dann Prof. Schumacher von der Uni Bonn das Ackerrandstreifenprogramm an, nach dem Bauern dafür bezahlt wurden, Teile ihrer Äcker extensiv zu bewirtschaften. Das war der Ursprung der Vertragslandwirtschaft. Kurz danach bewirkte er auch, dass die gerade neugegründete NRW-Stiftung mit Fichten bestandene Flächen im Olef-, Perl- und Fuhrtsbachtal ankaufte. Danach konnten die gerodet und wieder in Narzissenwiesen rückverwandelt werden. Auch wenn man das damals noch nicht so genannt hat, war das die erste Entfichtung in der Eifel.
Heute versucht man so, auch weitere Täler wieder ökologisch aufzuwerten. Im Tiefenbachtal wurde voriges Jahr sogar eine Firma aus dem Allgäu aktiv, deren Spezialität das „Ernten“ von Baumstämmen aus steilen Hanglagen ist.
voriger Artikel ← | → nächster Artikel
zuletzt bearbeitet am 14.XI.2024