5. Dez. 2024

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Wie ein Wanderzeichen in die Breite gezogen wird

 Joachim Schmitz

Diese grotesk verzerrte Wanderwegmarkierung habe ich Oktober 2020 im Rurtal bei Zerkall angetroffen. Wie entsteht sowas?

Um das erklären zu können, muss man erst mal grundsätzlich auf das Wachstum von Bäumen eingehen. In die Länge wachsen sie nur an der Spitze und nach den ersten Verzweigungen auch an den Spitzen der Äste. Was die Spitzenknospe des Haupttriebs in einer Vegetationsperiode an Stängellänge produziert, bleibt auf immer so erhalten. Deshalb bleibt ein eingeritztes Herzchen auch nach langer Zeit auf derselben Höhe.

Die primäre Breite reicht aber bald nicht aus, um ein immer größer werdendes Astwerk und erst recht nicht die spätere Krone tragen zu können. Deshalb bildet sich ein ringförmiges Wachstumsgewebe aus. Dieses Kambium gliedert fortan ständig nach innen Holzzellen ab. Die dienen zunächst der Wasserleitung von der Wurzel in die Krone. Später sterben sie ab und bilden als Holzstamm das mechanische Grundgerüst des Baums.

Diese Wanderwegmarkierung ist durch das Dickenwachstum des Baumes bis zur Unkenntlichkeit zerrissen.

Nach außen gliedert das Kambium Bastzellen ab, in denen durch die Fotosynthese gebildeter Zucker von den Blättern in die unterirdischen Pflanzenteile geleitet wird. Ganz außen bleibt zuerst die undifferenzierte Rinde mit der Epidermis als äußerster Grenzschicht bestehen. Mit zunehmendem Dickenwachstum kann die Rinde aber nicht mehr mithalten und würde einfach platzen. Deshalb bilden sich in der noch lebenden Rinde neue Wachstumsgewebe. Diese Korkkambien produzieren jetzt nach außen ein neues Abschlussgewebe, das durch Einlagerung von Suberin zum Kork wird und dadurch die abgestorbene Borke bildet.

Rinde ist also noch lebendes Abschlussgewebe. Bäume haben aber grundsätzlich außen die bereits abgestorbene Borke. Was also Laien und erstaunlicherweise auch ausgebildete Förster als Rinde bezeichnen, ist in Wirklichkeit Borke.

Was für die ursprüngliche Rinde galt, gilt natürlich auch für die Borke. Durch das Dickenwachstum wird irgendwann der Druck zu groß und die Borke platzt auf. Deshalb müssen im lebenden Bast darunter immer wieder neue Korkkambien entstehen, die neue Borke bilden, die die alte, abplatzende Borke ersetzt.

Malt man jetzt auf diese Borke ein Wanderzeichen auf, wird dieses natürlich durch das Dickenwachstum in die Breite gezogen. Wie das im Einzelfall aussieht, hängt sehr von der Baumart ab. Z.B. haben Rotbuchen eine sogenannte Spiegelborke. Die Korkkambien wachsen sehr langsam und gleichmäßig. Man sieht von außen keine Strukturen oder Muster. Eine Wanderwegmarkierung würde auch in die Breite gezogen, aber lange bestehen bleiben und nicht auseinandergerissen. Bei den meisten Arten sind die Korkkambien in waagerechten (Birke) oder wie auf dem Foto in senkrechten Streifen angeordnet, so dass die Borke dann auch in solchen Streifen abblättert.

Wie lange es dauert, bis die äußerste Borkenschicht abgestoßen wird, ist genauso artspezifisch. Bei der Rotbuche überdauert eine Malerei über einen großen Zeitraum. An einer Wald-Kiefer eine gemalte Markierung anzubringen, ist keine gute Idee. Die Kiefer bildet sehr schnell immer neue Korkkambien, was zu der charakteristischen, stark strukturierten Streifenborke führt.

Am Extremsten ist das bei Platanen zu beobachten, die bei uns nur als Straßen- und Parkbäume vorkommen. Hier wächst das Korkkambium in großen Platten sehr schnell und entsprechend platzen auch immer wieder große Borkenstücke spektakulär ab. Das ergibt ein Fleckenmuster aus unterschiedlich alten Borken. 2018 war das Wetter in Aachen für die Bäume optimal. Aufgrund des starken Wachstums sind damals massenhaft Borken abgeplatzt. Besorgte Bürger hatten das für eine Krankheit gehalten und zahlreich das Aachener Umweltamt alarmiert.

 

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zuletzt bearbeitet am 6.I.2025