19. Dez. 2024

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Ein Weihnachtsmärchen in Grün

 Karola Dahmen

Ho, ho, ho … ja, auch im Karlsgarten auf Gut Melaten weihnachtet es sehr. Die ersten Nachtfröste haben Einzug gehalten, der erste Schnee ist gefallen und unsere Kräuter, Sträucher und Bäume bereiten sich auf 2025 vor. Sie gönnen sich eine wohlverdiente Ruhepause. Zeit und Muße, den Blick schweifen zu lassen, das eine oder andere Pflänzchen mal von einer ganz anderen Perspektive aus zu betrachten.

Von wegen nur „Oh Tannenbaum“

In wenigen Tagen steht Heiligabend vor der Tür, und wie das mit Festen so ist, die seit einigen Jahrhunderten weltweit begangen werden, ziehen mit ihnen im Laufe der Zeit auch die eigentümlichsten Bräuche ein, die im Nachhinein so manch einem Pflänzchen zu einer recht eigentümlichen Karriere verholfen haben. Spätestens wenn Heiligabend aus unzähligen Kehlen „Oh Tannenbaum …“ ertönt, ist klar, wer unangefochten auf Platz eins steht. Gleichwohl hat sich in den letzten 150 Jahren noch jemand anderes, recht unscheinbares, noppig Grünes auf die Hitliste der Weihnachtspflanzen gemogelt: Cucumis sativa L., gemeinhin auch Gurke genannt, was letztlich so viel wie grün, unreif bedeutet und auf das griechische Adjektiv águros zurückzuführen ist. Die Gurke ist eine Frucht, die zur Familie der Kürbisgewächse (Cucurbitaceae) gehört. Vor 3000 Jahren schon in Indien domestiziert, zählte sie im alten Rom zu Kaiser Teberius´ Lieblingsfrucht, wird aber erst seit ca. dem 17. Jh. n. Chr. auch bei uns in Deutschland angebaut. Wärmeliebend wie diese einjährige, krautige Rankpflanze nun einmal ist, fällt es schwer zu verstehen, warum gerade ihre im physiologisch unreifen Zustand gepflückte und von uns auf vielfältige Weise genossene Frucht zu einem heimlichen Star der Weihnachtstage avancieren konnte.

Als gar martialisch erweist sich insbesondere eine aus Spanien kommende Geschichte, die besagt, dass der Heilige Nikolaus drei Kinder aus einem mit Gurken gefüllten Fass habe befreien können, in die ein mordlustiger Fleischer sie habe einlegen wollen, um ihr Fleisch verkaufen zu können. Eine Geschichte, die sich im viktorianischen Zeitalter großer Beliebtheit erfreute, aber nicht erklärt, warum gerade die im Weihnachtsbaum hängende Gurke in den USA als typisch deutscher Weihnachtsbrauch angesehen wird.

Wahre Geschichte oder doch nur ein Werbegag

Zwei Versionen bekommen wir angeboten, auf deren Grundlage sich immerhin in den USA eine Kleinstadt namens Berrian Springs dazu entschloss, sich selbst den Beinamen Christmas Pickle Capital of the World zu geben, und seitdem mit ihrem Anfang Dezember stattfindenden Christmas Pickle Festival Besucher auf das bevorstehende Weihnachtsfest einzustimmen sucht. Dass sich dort in jedem der Weihnachtsbäume eine Weihnachtsgurke befindet, die von Kinderaugen entdeckt werden will, auf dass diese ihnen Glück bringen soll, ist selbstverständlich. Denn großes Glück ist das, was man in den USA mit ihrem Auffinden im Weihnachtsbaum verbindet. Soll doch ein deutscher Auswanderer namens John Lower alias Hans Lauer unbändiges Glück gehabt haben, als er zur Zeit des Amerikanischen Bürgerkrieges in einem für seine Unmenschlichkeit berüchtigten Gefangenenlager an Heiligabend von einem Wärter mit einer Essiggurke vor dem elenden Hungertod bewahrt wurde. Wieder daheim bei seiner Familie habe Lower von da an in Gedenken an diesen Tag jede Weihnacht eine Essiggurke in den Tannenbaum gehängt. So schön, so gut!

Eine wesentlich unprosaischere Version führt uns zu Woolworth. Das Kaufhaus soll sich in den 1890er-Jahren die Weihnachtsgurke als Werbegag ausgedacht haben, um deutschen Weihnachtsschmuck erfolgreich auf dem amerikanischen Markt vermarkten zu können. Welche Geschichte aber letztlich der Wahrheit entspricht, steht in den Sternen. Und ob mit oder ohne Christmas Pickle im diesjährigen Weihnachtsbaum bei Ihnen zu Hause, wir vom Freundeskreis Botanischer Garten Aachen e. V. wünschen Ihnen von Herzen eine frohe Weihnacht. Kommen Sie gesund ins Neue Jahr. - Ihre Naturbeobachter.

 

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zuletzt bearbeitet am 6.I.2025