16. Jan. 2025

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Bäume, die am Stamm blühen

 Ruth Gestrich-Schmitz

In der kalten Jahreszeit ist es wohltuend, sich mit einem heißen Getränk gemütlich zu Hause oder im Café hinzusetzen und sich zu wärmen. Kakao oder heiße Schokolade liebten schon die Azteken in Mittelamerika. Sie nannten das aromatische Getränk, das sie aus den gerösteten, gemahlenen Kakaosamen zubereiteten, Chocolatl.

Der zur Familie der Malvengewächse gehörende Kakaobaum (Theobroma cacao) wächst als kleiner, bis etwa fünfzehn Meter hoher Baum im Unterholz der tropischen Regenwälder Mittel- und Südamerikas und kann das ganze Jahr über Blüten bilden. Wer schon einmal im Tropenhaus eines Botanischen Gartens einen Kakaobaum gesehen hat, dem ist vielleicht aufgefallen, dass die Blütenknospen direkt aus dem verholzten Stamm hervorbrechen. Diese botanische Besonderheit wird als Kauliflorie/Stammblütigkeit bezeichnet. Sie hat den Vorteil, dass die nach der Bestäubung entstehenden großen und schweren Früchte am Stamm besseren Halt finden als an dünnen Ästen.

Stammblütigkeit gibt es bei zahlreichen tropischen Pflanzen. Dazu gehört auch der Jackfruchtbaum (Artocarpus heterophyllus) aus der Familie der Maulbeergewächse, der ursprünglich in Indien beheimatet ist und in vielen tropischen Ländern Südostasiens und in Brasilien gedeiht. Seine bis zu fünfzig Zentimeter breiten und bis zu einem Meter langen Früchte mit einem Gewicht von bis zu fünfzig Kilogramm gelten als die größten Baumfrüchte überhaupt. Eine weitere Pflanzenart mit Stammblütigkeit ist die in Südostasien beheimatete Sternfrucht (Averrhoa carambola) aus der Familie der Sauerkleegewächse mit ihren süß-sauer schmeckenden, fünfkantigen Früchten. Im Unterwuchs tropischer Regenwälder Brasiliens kommt die zu Ehren des berühmten Dichters und Naturforschers Johann Wolfgang von Goethe Goethea cauliflora genannte Pflanze aus der Familie der Malvengewächse vor, deren rot bis rosafarbene Blüten am Stamm entlang entspringen. Die tropischen Pflanzen profitieren von der Kauliflorie insofern, dass einerseits die Blüten besser vor den heftigen tropischen Regenfällen geschützt sind, andererseits für Vögel oder Fledermäuse als Bestäuber gut zugänglich sind.

Kakaoblüte

Außerhalb der Tropen findet man nur wenige Gehölze mit Stammblütigkeit. Dazu zählt der Gewöhnliche Judasbaum (Cercis siliquastrum) aus der Familie der Hülsenfrüchtler, der in Südeuropa und Vorderasien heimisch ist. Am mehrjährigen Holz erscheinen im März/April rosafarbene Schmetterlingsblüten, aus denen sich flache, zehn bis zwölf Zentimeter lange, dunkelbraune Hülsenfrüchte entwickeln. Der im Mittelmeerraum bis zum Iran beheimatete Johannisbrotbaum (Ceratonia siliqua) gehört auch zur Familie der Hülsenfrüchtler. Von September bis November brechen seine unscheinbaren Blüten aus dem Stamm und den Ästen hervor. Die daraus entstehenden violett-braunen, bis dreißig Zentimeter langen Hülsenfrüchte sind etwa ein Jahr nach der Befruchtung reif und können über Monate am Baum hängen bleiben. Der Echte Seidelbast (Daphne mezereum) aus der Familie der Seidelbastgewächse ist die einzige stammblütige Art Mitteleuropas, mit stark duftenden, rosafarbenen bis purpurroten Blüten, die im zeitigen Frühjahr an den verholzten Trieben des Vorjahres erscheinen. Die in Deutschland besonders geschützte, sehr giftige Art wächst bei uns vereinzelt oder in kleinen Populationen bevorzugt in Laubmischwäldern.

Wer sich gerne einmal am Stamm wachsende Blüten aus der Nähe ansehen möchte, macht am besten einen Ausflug zu einem der vielen Botanischen Gärten mit Tropenhäusern, wo in der kalten Jahreszeit ein warmes Klima mit einer Vielfalt an wunderschönen Blüten herrscht. Vielleicht gibt es dort auch ein Café, in dem man genussvoll eine Tasse heiße Schokolade schlürfen kann.

 

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zuletzt bearbeitet am 14.II.2025