11. Sept. 2025

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Metamorphosen – wenn nichts so ist, wie es scheint

 Karola Dahmen

Seitens der Biologie kennen wir die Metamorphose vom Frosch oder der Libelle her. Da entwickelt sich aus der kiemenatmenden Kaulquappe ein lungenatmender Frosch oder aus der im Wasser lebenden Larve erwächst eine mit filigranen Flügeln ausgestattete Libelle, die im Reich der Insekten mit zu den erfolgreichsten Jägerinnen zählt. Beiden gemein: die vollkommene Umwandlung des ursprünglichen Körpers in einen erwachsenen anderen, der konsequenterweise eine andere Lebensweise nach sich zieht. Nun möchte ich aber an dieser Stelle das naturwissenschaftliche Terrain der Biologie verlassen und Sie mit auf eine Reise in die römische Mythologie nehmen, in der das Phänomen der Verwandlung ebenfalls eine zentrale Rolle spielt. Insbesondere ein römischer Autor hat ihr mit seinen gleichnamigen Metamorphosen ein Denkmal gesetzt, das kaum wie ein anderes Werk nachträglich die bildenden Künste beflügelte: Publius Ovidius Naso (43 v. Chr. bis 17 n. Chr.), genannt Ovid. Zentrales Thema seiner Geschichten ist die Verwandlung von Göttern und Nymphen, aber auch von Menschen in Tier oder Pflanze. Teils leicht frivol, teils martialisch daherkommend, wandert man mit ihm durch die Geschichte der Welt und erlebt, wie Flora und Fauna in ihrem Bestand um das eine oder andere Lebewesen ergänzt werden. Die Gründe hierfür sind alles andere als langweilig. Hass, Liebe, Trauer, Neid etc., alles ist dabei. So wird beispielsweise die hochmütige Weberin Arachne von Athene zur Strafe in eine Spinne verwandelt oder die vor dem liebestoll gewordenen Gott Apoll fliehende Nymphe Daphne in einen Lorbeerstrauch und so gerettet.

Herbstzeit ist Jagdzeit

Die Herbstzeit steht in diesen Tagen vor der Tür und mit ihr die Jagd auf eine Spezies, die das Herz so manchen Jägers höherschlagen lässt: das Rotwild. Nun ist laut Ovid Rotwild aber längst nicht gleich Rotwild. Neben Rehen und Hirschen könnte sich unter ihnen noch jemand völlig anderes befinden. Jemand, der sich zur falschen Zeit am falschen Ort befunden und etwas zu sehen bekommen hat, was er nicht hätte sehen sollen. Denn Diana, Hüterin des Waldes und Göttin der Jagd, ist eigen: Nicht ungestraft darf man sich in ihren privaten Gefilden aufhalten. Heilige Haine und Grotten, sie sind zu bestimmten Zeiten tabu und sollten tunlichst gemieden werden. Wer sich nicht daran hält, der kann mit einer drakonischen Strafe rechnen, die unter Umständen tödlich enden könnte.

Betreten verboten

Actaeon, jung und voll von überschäumendem Tatendrang, kann davon in den ovidschen Metamorphosen ein Lied singen. Als begeisterter Jäger gönnte er sich so manches Mal, wie man heute wohl sagen würde, eine Auszeit und streunte nach erfolgreicher Jagd alleine durch den Wald. Fatal nur, dass er dieses Mal dabei heiligen Boden betrat und auf eine Grotte stieß, in der sich Diana gerade ein Bad zur Entspannung genehmigte. Statt nun stehenden Fußes umzudrehen, beobachtete er die jungfräuliche Göttin und wurde prompt dabei erwischt. Dass eine nackte Göttin nicht gerade darüber erfreut ist, ist verständlich. Waffen-, aber nicht wehrlos, verfluchte sie ihn kurzerhand, sodass er sich von einem Moment auf den anderen in einen Hirsch verwandelte. Zwar seines menschlichen Körpers, aber nicht seines Bewusstseins beraubt, überlegte Actaeon noch, wohin er in seiner neuen Gestalt fliehen könnte, als er auch schon von seinen eigenen Jagdhunden erspäht, gejagt und zerfleischt wurde. ̶ Ein martialischer Tod, der am Ende Dianas Zorn befriedigte und uns heute ermahnen könnte, nicht rücksichtslos durch Wald und Flur zu streifen; weiß man doch letztlich nie, ob man dabei nicht zufälligerweise heiligen Boden betritt. Sollten wir allerdings bei unseren herbstlichen Streifzügen zufälligerweise auf einen Hirsch stoßen, dann könnte es sich dabei – aber auch nur vielleicht! ̶ um jemand ganz anderen handeln. Denn Sie wissen schon: In manchen Fällen ist halt nichts so, wie es scheint!

 

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zuletzt bearbeitet am 2.X.2025