18. Sept. 2025
NATURBEOBACHTER AUS DER REGION
Das herbstliche Spektakel der Hirschbrunft
Karl Josef Strank
Früher hing in der guten Stube oder über dem Sofa im Wohnzimmer oft ein röhrender Hirsch in Öl. Es war Ausdruck romantischer Verbundenheit mit dem Wald, von Heimatliebe, der Sehnsucht nach Freiheit in der Natur, was auch immer, projiziert auf das edelste Wildtier der „Hohen Jagd“ in unseren Gefilden, den Hirsch. Nicht jeder teilt diese Vorliebe, aber es hat etwas Uriges, wenn im Herbst an kühlen, nebligen Tagen auf Lichtungen oder größeren baumfreien Flächen, auf denen sich die Hirschkühe in größeren Rudeln versammeln ein kräftiger Hirsch als Chef im Ring seinen tiefen, kernigen, unterbrochenen und oftmals wiederholten, als würde er husten, Brunftschrei ertönen lässt. Jäger ahmen das Röhren nach und veranstalten auf Jagdmessen sogar Wettbewerbe um herauszufinden, wer das dumpfe, kehlige Gröhlen am besten imitiert. Gießkannen sollen sich dem Vernehmen nach als Hilfsinstrumente hierfür hervorragend eignen.
Die Brunft der Hirsche findet hauptsächlich von Mitte September bis Anfang Oktober statt, regional ist das aber unterschiedlich. Oft sind auch im Oktober noch röhrende Hirsche zu hören. Die männlichen, geweihtragenden Tiere trennen sich in dieser Zeit von ihren Sommerrudeln und suchen die Rudel der weiblichen Hirsche, in der Jägersprache Kahlwild genannt, auf, um sich fortzupflanzen.
Das Schauspiel der Brunft ist auch in diesen Tagen im Nationalpark Eifel auf der Dreiborner Hochfläche zu beobachten. Wir sind an Pfingsten von Vogelsang über die weiten Wiesen nach Einruhr gewandert und haben zahlreiche Fährten und andere Spuren von Hirschen gefunden. In Waldrandnähe stehen zahlreiche junge Hutebäume, die vom Rotwild verbissen wurden. Diese sehen aus wie dichte Büsche, weil sie gezwungen sind, ständig mit rückwärtigen Knospen neu auszutreiben.
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Hute- oder Weidebaum. So nennt man vom Vieh oder Wild verbissene junge Bäume.
Die Hochfläche wird in diesen Tagen zur Kampfarena der starken Hirsche. Das dumpfe Röhren und das Herumstolzieren halten die jungen und im Geweih schwachen Hirsche davon ab, sich mit einem starken Platzhirsch, der die Arena behauptet, zu messen. Wenn alles gut geht, wird ihre Zeit noch kommen, denn nicht jeder alte Hirsch überlebt nach einer anstrengenden und kräftezehrenden Brunft den anschließenden Winter. Das Alter fordert auch bei noch so starken Hirschen seinen Tribut und lässt die Kräfte schwinden. Außerdem hat ein Platzhirsch, der ein, zwei, vielleicht auch mehrere Jahre seine Stellung behauptet, sein Lebensziel erreicht, indem er seine Gene erfolgreich an die nächste Generation weitergegeben hat.
Treffen zwei gleichstarke „kapitale“, mit zahlreichen Geweihenden bestückte Hirsche aufeinander, das Röhren keine Wirkung zeigt, so stolzieren diese zunächst dennoch aneinander vorbei und machen sich so groß wie irgend möglich. Dann kehren sie um, neigen den Kopf und gehen frontal aufeinander los. Die Geweihe verhakeln sich und das Hin- und Hergeschiebe beginnt. Dabei fliegen die Fetzen, wenn kleinere Bäume, Sträucher, Grassoden oder was auch immer im Weg steht. Das kann eine Weile so gehen, bis klar wird, wer der stärkere ist. Meist behauptet der Platzhirsch seine Stellung, zumal, wenn er die Gegebenheiten des Geländes, das er in der Regel besser kennt, zu seinem Vorteil auszunutzen weiß. Nach getaner Arbeit kehrt der Hirsch, hormongedopt bis in die Haarspitzen zu seinem Harem zurück und prüft die Paarungsbereitschaft seiner Hirschkühe. Dazu streckt er die Zunge heraus und flehmt, indem er die Oberlippe hochzieht, um die Gerüche besser wahrnehmen zu können. Einzelne Kühe treibt er dabei vor sich her. Diese weichen ihm aus, wenn sie noch nicht paarungsbereit sind. Ist es soweit, bleiben sie stehen und der Hirsch kann von hinten aufreiten. Er ejakuliert mit einem Sprung und lässt dann von der Kuh ab. Das passiert im Laufe der Brunft mit allen weiblichen und paarungsbereiten weiblichen Tieren seines Harems. Am Ende einer Brunftsaison braucht der viel geforderte Hirsch Ruhe, separiert sich von den Kühen und versucht wieder zu Kräften zu kommen, damit er den Winter übersteht.
zuletzt bearbeitet am 2.X.2025